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Filme neu gesehen: “Raus aus der Haut” von Andreas Dresen (1997)

Von Philipp Lengsfeld

Neulich habe ich einen Film wieder gesehen, der mich schon bei seinem Erscheinen nachhaltig beeindruckt hat: Andreas Dresens „Raus aus der Haut“ von 1997.

Vielleicht vorab: Dieser Fernsehfilm ist aus meiner Sicht politisch ein glasklares Statement des Ostdeutschen Andreas Dresen, Jg. 1962, zum SED-DDR-Regime. Die Handlung spielt im Deutschen Herbst 1977 an einer DDR-EOS. Dresen arbeitet genau die Doppelgesichtigkeit des Regimes heraus, die sich in der pädagogischen Maschinerie besonders manifestiert hat, insbesondere in dem hochkritischen Abitur-Alter.

Dresen entwirft ein künstlerisch ambitioniertes Setting: Die drei jugendlichen Hauptfiguren sind die rassige Anna (Susanne Bormann), die zwischen zwei Männern steht, der ehrliche und sie tief liebende und begehrende Klassenkamerad Marcus (Fabian Busch) und der rebellische charismatische Rocksänger Randy, der vom System schon aus der klassischen Karriere aussortiert wurde und jetzt versucht sich mit Band als Rockstar zu etablieren und Anna nimmt, weil sie attraktiv ist und er es kann.

Diese drei, insbesondere Anna und Marcus, die in der DDR studieren wollen und zwar Medizin (Anna) und Lateinamerikanismus (Marcus) bewegen sich durch das SED-System von Zuckerbrot und Peitsche, kumpelhafter Nähe und klarem Machtgefälle in der Schule und ihren jeweiligen Familie, die wie ein Abbildung von Staatsmechanismen im Kleinen wirken: Die Familie von Anna erfolgreich und auf leichtem Abstand zum System, was angesichts ihrer Position, Vater Chefarzt, Mutter erfolgreiche Sängerin nicht allzu schwer fällt, Marcus Eltern dagegen die Unauffälligkeit in Person. Spiegelbildlich die Vertreter der Schule und des Staates – der Direktor (Otto Mellies) streng und gefürchtet, der stellvertretende Direktor Genosse Winkler freundlich und an der Oberfläche sehr verständnisvoll zu seinen Schülern.

In diesem Setting eskaliert die Situation durch den Hahnenkampf von Marcus und Randy um Anna. Dresen entwickelt daraus eine Parallelentführung des Direktors durch Marcus und Anna gleichzeitig zur Schleyer-Entführung in der BRD (die im Hintergrund immer im Radio oder Fernsehen mitläuft). Während die zweite Generation der RAF versucht die Gefangenen aus Stammheim rauszupressen (Big Raushole), versuchen Anna und Marcus „nur“ ihre von ihrem Klassenlehrer Winkel angekündigte Studienplatzempfehlung über die entscheidende Lehrerkonferenz zu bringen. Die Einzelheiten des elegant konstruierten Plots will ich Ihnen nicht darlegen, hier empfehle ich schon mal nachdrücklich den Film anzusehen, sondern möchte mich auf zwei weitere künstlich-politische Botschaften von Dresen konzentrieren.

Botschaft I:

Terrorismus tötet, bringt den Staat dazu sein wahres Gesicht zu zeigen und endet mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Niederlage. Die Entführung des Direktors durch Anna und Marcus klappt erstaunlich gut, trotz mehrerer Fehler und Fallstricke, der Staat fällt auf die gefälschte Abwesenheitsnotiz zunächst rein und die Einkerkerung im großen Haus der Oma von Anna funktioniert sogar, als diese sich selber aus dem Krankenhaus entlässt und so zunächst Teil der Verschwörung wird. Aber es ist kein Spiel: In der für mich entscheidenden Szene kurz vor dem Showdown des Films fragt der Direktor Anna, die er ziemlich schnell als die treibende Kraft erkannt hat (siehe Botschaft 2), ob die RAF Schleyer töten wird – Anna zögert kurz und sagt dann, ob als bewusste oder unbewusste Lüge: „Nein, das kann sie sich nicht vorstellen“. Aber natürlich passiert genau das. Schleyer wird ermordet und der Direktor, der von der Oma am Abend des Republikgeburtstags 7. Oktober 1977 freigelassen wird, stirbt am Tag von Schleyers Tod (18. Oktober) an Herzinfarkt. Ist es Kummer über das Verhalten „seines“ Staates oder fast ein Selbstmord – die Frage bleibt offen ist aber letztlich unerheblich. Wie der Direktor Anna schon gesagt hatte: Der Staat BRD konnte Schleyer nicht freilassen (den Fehler hatte sie ja einmal bei der Entführung vom Berliner CDU-Spitzenkandidat Peter Lorenz durch die Bewegung 2. Juni in Westberlin 2.5 Jahre davor gemacht). Und genauso verhält sich der DDR-Staat in Gestalt des Schulapparats. Da die Staatsmacht zunächst auf die Tarnung reingefallen war und den Stellvertreter zum Direktor ernannt hatte und da SED und Staatssicherheit gegenüber Direktor Rottmann, wie praktisch bei jedem Bürger in herausgehobener Position auch Material gegen ihn in der Hand hatte – er hatte eine große Liebe, die in den Westen gegangen ist und wollte, dass er nachkommt – die Stasi hatte den Briefverkehr natürlich überwacht. Weil diese Situation sich so entwickelt hat, wird Direktor Rottmann, der übrigens seine Schüler und die Oma nach der Freilassung nicht verrät (was aber die Situation auch nicht groß verändert hätte), in den Vorruhestand geschickt – die Entführung („die Geschichte glaubt uns doch eh keiner, Genosse Rottmann“) hat nicht stattgefunden. Aber sie hat auch keinen Erfolg: Rottmann wird begraben und Anna und Marcus erhalten ihren Studienplatz trotz Empfehlung erst einmal nicht. Im Kleinen ein ähnliches Fiasko wie der Kollektivselbstmord in Stammheim als Abschluss der Big Raushole.

Aber der Film hat noch eine Botschaft.

Botschaft II:

Andreas Dresen identifiziert eindeutig die Frau als treibenden Kraft für den dargestellten Terrorismus. Die Figur der Anna ist mit schillernd eher milde beschrieben: Sie verdreht Männern den Kopf und ist dann aber schwer genervt, wenn die liebestoll Fehler machen: Marcus löst die Probleme in der Schule durch einen Eifersuchtsanfall aus: Anna – sie leistet sich ein gepflegtes Rebellentum, hat aber ausgezeichnete Zensuren für ihre Medizinkarriere – hat die Nacht nach einem Konzert von Randy bei eben jenem verbracht und bringt RAF-Material von Randy in die Schule: Marcus will bei Anna wieder in die Vorhand kommen und auch mal den Helden spielen und legt ein Bild auf den Overheadprojekt just bevor Direktor Rottmann den Raum betritt. So nimmt das Unglück seinen Lauf.

Anna heckt dann auch die irre Entführung aus und halb erpresst Marcus moralisch (er hat den Schlamassel schließlich erzeugt) halb verführt sie ihn zum Mitmachen durch Einsatz ihrer Ausstrahlung und dem Spielen mit seinem Verlangen – als privilegierte Arzt- u Künstlertochter hat sie auch viel mehr Möglichkeiten, als Marcus oder auch Randy. Der wiederum weiß eigentlich ganz genau, was er an Anna hat, bzw. nicht hat – sie ist ein privilegierte Karrieretochter, die sich mit dem Musikerrebell mehr aus Spiel und Image einlässt. Randy und seine Band stehen in der DDR zwischen Baum und Borke – er will echten Rock spielen, die gerade frisch verbotene Gruppe Renft sind seine Helden, aber für die staatliche Zulassung muss er laufend Kompromisse machen. Anna versucht ihn in die Entführung reinzuziehen, aber er widersteht, worauf sie ihn auch mächtig unter Druck setzt: Große Sprüche, nichts dahinter – wenn Du bereit bist, im Konzert Renft zu spielen, kriegst Du mich wieder.

Und das ist dann auch der dramatisch-traurige Höhepunkt des Films: Randy spielt am Abend des 7. Oktober in der Schule, nachdem Anna mit Marcus auftaucht, spontan Renft: „Raus aus der Haut“ ist die Kernzeile des wunderschönen, tieftraurigen Renft-Klassikers „Als ich wie ein Vogel war“ – wer kennt das Gefühl nicht? Randy versucht „raus aus seiner Haut“ zu kommen, auch weil Anna ihn massiv gereizt hat: Es endet in der Katastrophe. Seine Band setzt sich sofort ab, das Konzert wird abgebrochen, Randy wird verhaftet (er stand schon aus Beobachtung, weil Anna nach der Entführung den Sticker seiner Band Feuerbrunst in der Wohnung von Rottmann vergessen hatte) und wird zu 6 Monaten verknackt. Anna und Marcus sind tief erschüttert, finden ihren Entführungskerker leer und verbringen die Nacht zusammen auf die Marcus zwei Jahre lang gehofft hatte.

Schon eine ziemliche Anklage gegen die Figur der Anna: Wenn ich mir die eine kritische Bemerkung zu einem sonst meisterlichen Werk erlauben darf: Ich finde die Figur der Anna ein klein wenig zu negativ gezeichnet, aber das ist nur mein Blick.

Schauen Sie diesen großartigen Film über den schrecklichen deutschen, ostdeutschen Herbst 1977, der auch bis in alle Nebenrollen exzellent besetzt ist und quasi als Sahnehäubchen auch einen der ersten filmischen Auftritte von Matthias Schweighöfer als bester Kumpel von Marcus enthält.

Raus aus der Haut, Andreas Dresen, 1997

Raus aus der Haut | Film 1997 | Moviepilot.de

Gute Kurzzusammenfassung/Teaser:

Raus aus der Haut – YouTube

Renft: “Als ich wie ein Vogel war“

als ich wie ein vogel war – YouTube

Matthias Schweighöfer-Szenen in “Raus aus der Haut”:

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