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Kultur Reisen

Das Comeback der entarteten Bilder

Ursprünglich veröffentlicht auf vera-lengsfeld.de am 10.01.20

An diesem Wochenende vom 11. und 12. Januar ist die letzte Gelegenheit, im Kunstmuseum Moritzburg in Halle eine sensationelle Ausstellung zu sehen. Es handelt sich um die Rekonstruktion der ersten Sammlung hochkarätiger Meisterwerke von Bauhauskünstlern des Kunstmuseums Moritzburg. Bis 1933 galt diese Kollektion als eine der führenden Deutschlands, bis sie im Sommer 1937 durch Beschlagnahme von 147 „entarteten“ Werken ihrer Bedeutung beraubt wurde. Zwar ist die Zahl der verlorenen Bilder im Vergleich mit anderen Museen nicht allzu hoch, aber es betraf den Kern des Ausstellungsbestands, weshalb der Verlust nicht auszugleichen war. Immerhin gelang es dem Museum, 15 Werke zurückzukaufen.

Die aktuelle Schau zeigt 40 der beschlagnahmten Kunstwerke als Leihgaben von öffentlichen und privaten Sammlungen. Gemeinsam mit den 300 nicht konfiszierten Werken gewinnt der Besucher einen guten Eindruck von der ursprünglichen Sammlung. Wirklich alle Bauhauskünstler, bekannte und unbekannte, scheinen vertreten zu sein, mit Gemälden, Aquarellen oder Zeichnungen.
Der Genuss wird erhöht durch die außergewöhnlich gelungene Präsentation. Die Besucher sehen beim Rundgang mittels Wanddurchbrüchen die Bilder aus immer neuen, überraschenden Perspektiven.

Für mich war der absolute Höhepunkt der rekonstruierten Sammlung die temporäre Wiedervereinigung von sieben der einst elf Gemälde des Halle-Zyklusses von Lyonel Feininger. Sie nebeneinander zu sehen ist wirklich sensationell. Außerdem werden eine Reihe von vorbereitenden Skizzen gezeigt, die Feininger während eines Ostseeurlaubs als Vorstudien anfertigte. Es ist ein einmaliger Einblick in die Werkstatt des Malers.

Das herausragende Gemälde des Hallenser Domes konnte die Stadt Halle zurückkaufen. Zwei andere Gemälde hat es nach München und Mannheim verschlagen, wohin sie leider nach Ausstellungsschluss wieder zurückkehren müssen. Man wünscht sich, sie könnten als Dauerleihgaben in Halle bleiben. Das besondere Licht und die kunstvoll verschobene Perspektive machen Feiningers Gemälde nicht nur unverwechselbar, sondern einmalig.
Weiter hinten ist der Künstler noch mit einem Gemälde seiner Lieblingskirche in Gelmenroda zu sehen und mit einer Straßenansicht, deren eher dröge Anmutung durch seine spezielle Malweise ins Zauberhafte gedreht wird.

Allein für Feininger lohnt sich auch eine längere Anfahrt nach Halle. Aber Klee, Nolde, Kandisky, Kokoschka, Heckel, Schlemmer und Grosz sind auch noch da.
Wer es an diesem Wochenende nicht schafft, sollte sich schon mal den März vormerken. Dann wird Toulouse-Lautrec gezeigt. Nach der hohen Qualität dieser Ausstellung darf man gespannt sein, wie dieser Ausnahmekünstler präsentiert wird.

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Kultur Reisen

New York – eine Spätherbstreise

Ursprünglich veröffentlicht auf vera-lengsfeld.de 03.12.19

Einen Vorgeschmack auf den Mentalitätswandel in den USA bekommt man schon, wenn man mit United Airlines von Berlin nach New York fliegt. Die hübschen Stewardessen in ihren adretten Uniformen waren gestern. Die politisch korrekte bunte Crew von heute ist dem Pensionsalter nahe und ziemlich vollschlank. Da können wenigstens keinem Passagier unziemliche Gedanken kommen. Aber freundlich sind sie, auch wenn die Bordverpflegung nicht mehr für die letzten Reihen reicht. Weil Vegetarier und Veganer Extra-Würstchen bestellen können, gibt es die Möglichkeit, Fluggäste, die leer ausgegangen sind, mit den veganen Resten zu beglücken.

Unser Flug kam pünktlich in Newark an. Auf dem Riesenflughafen kann man leicht die Orientierung verlieren. Aber keine Bange: Service is our first priority, ist eine häufig zu sehende Werbung. Tatsächlich stehen überall uniformierte Angestellte herum, die den hilflosen Passagieren die jeweiligen Automaten erklären, die Tickets ausspucken, die man früher von solchen Angestellten in die Hand gedrückt bekam. Schnell stellt sich heraus, dass diese Fachkräfte nur wissen, was sie zu erklären haben. Sie nach dem Weg zum Flughafen-Express nach NY zu fragen, ist zwecklos.Von drei Personen werde ich in ebenso viele Richtungen geschickt. Erst der vierte Befragte wusste, dass es sich um einen Bus handeln müsste, der irgendwo draußen zu finden sei. Der Hinweis erwies sich als hilfreich. Ich konnte den Bus besteigen und landete ohne Zwischenaufenthalt am Busterminal Port Authority in der Nähe des Times Square.

Zu meinem Hotel hätte ich die U-Bahn nehmen können, aber ich beschloss, den Broadway entlang zu Fuß zu gehen. Das war nicht ganz einfach. Einen Tag vor Thanksgiving, dem wichtigsten Feiertag der Amerikaner, schien die Stadt überzuquellen von Besuchern. Die gefühlte Hälfte zog wie ich einen Gepäcktrolley hinter sich her. An jedem Straßenübergang kam es zum Kampf aller gegen alle. Die Fußgänger betraten die Straße noch, wenn die Ampel längst auf Stopp geschaltet hatte und behinderten die anfahrenden Autos. Umgekehrt blockierten die Autos die Übergänge. Von der Gelassenheit der New Yorker, die ich bei früheren Aufenthalten schätzen gelernt hatte, ist nur noch wenig zu spüren. Immerhin wird man immer noch angesprochen, sobald man sich suchend umsieht. Das heißt, in der Menge befinden sich noch ein paar Ureinwohner.

Unser Hotel lag an der 29th Street/ Ecke Broadway und stellte sich als Pendant des Berliner Soho-House heraus. Die Lobby war als solche kaum zu erkennen, weil die zahllosen jungen Leute mit ihrem Laptops auf Sofas, Sesseln Stühlen und auf dem Boden sie in eine Art Großraumbüro verwandelt hatten. Ich glaubte schon, mich in der Tür geirrt zu haben, als ich die Rezeption in der rechten Ecke doch noch entdeckte. Nach dem freundlichen Empfang durch einen heftig an Fingern und Ohren beringten jungen Mann erwartete mich eine unangenehme Überraschung: Meine Visacard erwies sich als nicht einsetzbar. Sie hatte zuvor problemlos in Georgien, Polen, Litauen und Amsterdam funktioniert. Meine Reise schien schon zu Beginn im Desaster zu enden. Mein Hinweis, dass mein Sohn, der zur Zeit in den USA arbeitet, am nächsten Tag mit einer garantiert funktionierenden Kreditkarte käme, führte anfangs nicht dazu, dass ich mein Zimmer beziehen durfte. Erst meine Enkelin, die ich in Berlin angerufen hatte, überzeugte einen anderen Rezeptionisten mit ihrer Engelsstimme, mich aus dem Dilemma zu erlösen. Ich bekam ein sehr schönes Zimmer im elften Stock mit noch unverbautem Blick auf das Empire State Building und konnte mich erst einmal von dem Schock erholen. Zum Glück hatte ich noch genug Bargeld umgetauscht, um bis zur Ankunft meines Sohnes versorgt zu sein.

Was die Visacard betraf, fand ich schnell heraus, dass es nicht nur bei mir Schwierigkeiten gab. Auch bei meinem Sohn funktionierte nur seine amerikanische Firmenkarte. Telefonische Nachfragen ergaben, dass man wegen eines speziellen amerikanischen Sicherheitssystems vor jeder Transaktion bei der Visa-Hotline anrufen müsse, um die betreffende Summe freischalten zu lassen. Das scheint jedenfalls alle Karten zu betreffen, die von Sparkassen ausgestellt wurden. Unbekümmertes Shopping ist so kaum möglich, es sei denn, man deckt sich mit ausreichend Bargeld ein. Sollen die Touristen auf diese Weise sanft dazu bewegt werden, sich mit American Express auszustatten?

In den neunziger Jahren waren die USA noch billig. Man konnte sich mit günstiger Kleidung, Kosmetik und technischen Geräten eindecken und damit einen Teil seiner Reisekosten wieder reinholen. Die Zeiten sind längst vorbei. New York ist sündhaft teuer. Ein Stück Kuchen kostet zwischen 5 und 6 Dollar, ein Croissant ist nicht unter vier Dollar zu haben, für ein Glas Wein muss man 9 Dollar aufwärts hinblättern. Ein Frühstück zu zweit im Le pain quotidien schlägt mit vierzig bis fünfzig Dollar zu Buche, das Thanksgiving-Dinner zu zweit in einem Restaurant in Brooklyn ohne Weinbegleitung mit zweihundertfünfzig. Dafür ist alles bio.

Das vergisst man sofort, wenn man wie wir über die Brooklyn Bridge von Manhattan nach Brooklyn läuft und das großartige Panorama vor Augen hat, welches die nächtliche Stadt bietet. Noch schöner, weil ungestörter, fand ich den Blick vom kleinen Uferpark unter der Manhattan Bridge in der Nähe unseres Restaurants. Hier waren keine Touristen, nur ein paar Hundebesitzer, die ihre Lieblinge Gassi führten. Ab und zu rumpelte ein Zug über unseren Köpfen hinweg, der die innere Ruhe, die sich beim Anblick der grandiosen Kulisse von Big Apple einstellt, nicht stört.

Aber schon dieser Blick zeigt, wie sehr sich NY verändert. Seit meinem letzten Aufenthalt 2005 sind zahllose neue, schmale Hochhäuser entstanden, die wie Schornsteine in den Himmel stechen. Auf der 5th Avenue sahen wir eins, dass ein altes Haus, welches dem Investor offenbar nicht weichen wollte, unter den Arm nahm. Baugrund ist knapp. Die Frage ist, wer hier wohnt. So viel Millionäre kann es gar nicht geben, um all die Appartements zu bevölkern. Hinter die Glitzerfassaden kann man nicht schauen, aber in den alten Blocks ist viel Leerstand auszumachen.Die Straßen von Midtown sind ziemlich vermüllt, etwa wie die von Berlin-Wedding. Neben den Touristen sind ziemlich viele Obdachlose zu sehen. In der Nähe unseres Hotels hat sich einer mithilfe von sandgefüllten Plastesäcken, die er wie einen Schutzwall um sich gruppiert hat, dauerhaft eingerichtet. So oft wir dort vorbei gingen, lag er bewegungslos in seiner Festung. Gleich nebenan ein Café. Ob er dort die Waschräume benutzt? Apropos Toiletten. In den hippen Lokalitäten gibt es keine nach Männern und Frauen getrennte Toiletten mehr, ein Trend, der uns bald einholen wird.

Im Trump-Tower ist dagegen die Welt noch in Ordnung. Hier wird noch nach Männlein und Weiblein unterschieden. Das Trump Café und der Trump-Grill sind bis auf den letzten Platz besetzt. Das ganze Gebäude glänzt im Weihnachtsschmuck. Dem Andrang nach zu urteilen, ist Trumps Popularität außerhalb der linken Filterblase ungebrochen.Eine Überraschung ist die Bronx, die wir besuchen, um in den Zoo zu gehen. Hier sind die Straßen sauber, die Gebäude wirken gepflegt. Im Gegensatz zu Midtown wachsen hier Bäume, nicht nur in der riesigen Parkanlage, die den Zoo umschließt. Von dem Slum, der die Bronx mal war, ist nichts mehr zu spüren. Wenn ich in NY leben müsste, würde ich hier wohnen wollen. Ob das möglich wäre, ist allerdings zweifelhaft, denn es ist eine Black Neighborhood und heutzutage ist ein neuer Rassismus auf dem Vormarsch, der politisch-korrekt Menschen wieder nach Hautfarbe sortiert und separiert. Aber das ist ein anderes Kapitel.

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Das Adventswunder von New York

Ursprünglich veröffentlicht auf vera-lengsfeld.de 03.12.19

Nein, man muss nicht unbedingt nach New York fliegen, um sich das Nussknacker-Ballett von Peter Tschaikowski anzusehen, schließlich gibt es jedes Jahr in Deutschland zur Adventszeit wunderbare Inszenierungen des russischen Balletts zu sehen, und auch deutsche Versionen müssen sich nicht verstecken.Aber wer sich in der Adventszeit in New York aufhält, sollte die Aufführung des New York City Ballet nicht verpassen. Die Truppe wurde 1946 vom Choreografen George Balanchine, geboren als Georgi Melitonowitsch Balantschiwadse, ein Russe mit georgischen Wurzeln, gemeinsam mit Lincoln Kirstein, der Balanchine nach New York geholt hatte, gegründet. Damit wurde die Welt des Balletts verändert. Balanchine führte die Kompanie mit seinem neuen, modernen Stil bald zur Weltgeltung. Die Idee war, jungen Tänzern die Gelegenheit zur Profilierung zu geben.Als er aber ankündigte, ausgerechnet Tschaikowskis Nussknacker nach vielen Tanzszenen als erstes Vollballett aufzuführen, war die Fachwelt überrascht. Der Nussknacker war nach seiner Premiere 1892 nie richtig beim Publikum angekommen. Außerdem war das Ballett nach all den abstrakten, neoklassizistischen Choreografien Ballanchines das klassische Gegenstück. Mehr alte Ballettschule war kaum möglich. Aber Balanchine, der als Student in St. Petersburg in dem Stück getanzt hatte, war überzeugt, dass der Charme der deutschen Weihnachtsgeschichte nach E.T.A. Hoffmanns Nussknacker und der Mäusekönig das Publikum begeistern würde. Er behielt recht. Die Aufführung ist seit 1954, also bald 70 Jahren, ein Kassenmagnet. Mehr noch, die New Yorker Aufführung machte Schule. Weltweit wurde der Nussknacker wieder auf den Spielplan gesetzt. Die letzte Inszenierung hatte ich vor einem Jahr in Nowosibirsk gesehen und war begeistert.

In New York sitzt man für 116$ in der Nachmittagsvorstellung im vierten Rang, aber wenigstens in der Mitte, mit gutem Blick über die Bühne. Das Haus ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Über dem vierten ist noch ein fünfter Rang. Das Publikum ist jung, das liegt nicht nur an den vielen Familien mit Kindern, sondern viele Jugendliche interessieren sich für die Aufführung. Welch ein Anblick, wenn man das 60+ Publikum von Deutschland gewohnt ist!

Dabei ist die Inszenierung, die seit 70 Jahren unverändert ist, ganz klassisch. Bühnenbild und Kostüme entsprechen der Märchenwelt. Die verstörenden Elemente der Hoffmann-Geschichte sind bei Tschaikowski abgemildert. Kein Kind bekommt Albträume wegen des Mäusekönigs und seiner grauen Soldateska. Sowieso wird er ja vom Nussknacker besiegt. Dann bricht der Zauber aus und aus dem Nussknacker wird ein Prinz, der aber aussieht, wie der Neffe des Lieblingsonkels der Hauptheldin Marie. Was Kinder begeistert ist, dass Kinder als Hauptpersonen in dem Stück auftreten und jedes Kind die Handlung ohne Schwierigkeiten verstehen kann.

Das ist besonders leicht im zweiten Teil, wo Marie und der Prinz im Land der Süßigkeiten ankommen. Sie werden von der Zuckerfee begrüßt und zu einem Thron geleitet, wo sie sich an den süßen Köstlichkeiten gütlich tun können.

Von nun an tanzen alle Bewohner des Zuckerlandes für sie: Schokolade aus Spanien, Tee aus China, Kaffee aus Arabien, Zuckerstangen, Marzipanfiguren und die Ingwer-Mutter mit ihren acht Polichinellen. Dann kommt der Walzer der Blumen, mit ihren Tautropfen und zum Schluss das Pas de deux der Zuckerfee und ihres Kavaliers! Alle diese Tänze scheinen nur gemacht, damit die Tänzer ihre heraustragende Kunst demonstrieren können. Das Publikum kommt aus dem Beifall-Klatschen kaum heraus.Wenn die Nachmittagsvorstellung von der zweiten Besetzung getanzt wurde, fragt man sich, wie die erste das in der Abendvorstellung übertreffen könnte. Schöner kann Tschaikowskis gloriose Musik nicht interpretiert werden! Als wir das Theater verließen und durch den Central Park zur 5th Avenue liefen, tönte das Nussknacker-Motiv am Rockefeller Center durch die Luft. Es begleitete die Weihnachtsshow an der Fassade eines Kaufhauses, die von hunderten Zuschauern mit glänzenden Augen verfolgt wurde.

In New York liegen höchste Kunst und gnadenloser Kommerz dicht beieinander.

Tanz der Blumen und der Schneeflocken: